Barrierefreies Bauen

Aufgrund des demographischen Wandels und der 2009 erfolgten Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesregierung hat die Diskussion um barrierefreies Bauen noch mehr an Fahrt gewonnen. Zudem hat die bayerische Staatsregierung im Herbst 2013 das Sonderinvestitionsprogramm „Bayern barrierefrei 2023“ aufgelegt. Ziel ist es, bis zum Jahr 2023 im Freistaat alle öffentlichen Gebäude - und damit auch die Hochschulen - barrierefrei zugänglich zu gestalten. Zwei aktuelle Bauvorhaben an bayerischen Hochschulen zeigen, worauf es dabei ankommt.

Unterschiedliche Bedürfnisse

Auf einem Campus, der nicht barrierefrei gestaltet ist, stoßen Studierende mit Behinderung womöglich dort auf Probleme, wo für Nichtbehinderte keine Hindernisse erkennbar sind. Für den Nutzer eines Rollstuhls beispielsweise endet die Fahrt vor einer langen Treppe, wenn er als Alternative keine Rampe nutzen kann. Ein Sehbehinderter stürzt vielleicht an einer Treppe, deren Anfang nicht mit kontrastreichen Streifen markiert ist. Ohne ein tastbares Leitsystem ist ein blinder Student oder Hochschulangestellter nicht in der Lage, einen Parkplatz oder eine große Eingangshalle geradlinig zu überqueren. Der Träger eines Hörgerätes kann einer Vorlesung nicht folgen, wenn im betreffenden Hörsaal keine Induktionsschleifen installiert sind.

Gleichstellung und Barrierefreiheit

Rampen, kontrastreiche Streifen, Blindenleitsysteme und Induktionsschleifen sind nur einige von vielen Einrichtungen, mit denen Architekten einen Hochschulcampus barrierefrei gestalten können und rechtlich gesehen sogar müssen: Diese Verpflichtung ergibt sich auf Bundesebene aus dem Benachteiligungsverbot behinderter Menschen in Artikel 3 des Grundgesetzes, dem Gesetz zur Gleichstellung von behinderten Menschen sowie der UN-Behindertenrechtskonvention und auf Landesebene aus dem Bayerischen Behindertengleichstellungsgesetz.

Der Begriff Barrierefreiheit beinhaltet, dass behinderte Menschen in die Lage versetzt werden, gleichberechtigt und möglichst unabhängig von fremder Hilfe am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben.

Bauordnung und Technische Baubestimmungen

Während Architekten bei der nachträglichen Gestaltung von Altbauten und denkmalgeschützten Gebäuden oft Kompromisse eingehen müssen, ist Barrierefreiheit bei Neubauten öffentlicher Gebäude, zu denen auch Hochschulen zählen, Pflicht. Architekten in Bayern müssen hierzu neben der Bayerischen Bauordnung eine Reihe weiterer Technischer Baubestimmungen beachten. Diese schreiben unter anderem exakt vor, welche Eigenschaften in öffentlichen Gebäuden zum Beispiel Behindertentoiletten, elektronische Türöffner, Fahrstühle und von behinderten Mitarbeitern genutzte Büroräume aufweisen müssen.

Begleitendes Audit und Beratung

Seit dem 1. Januar 2012 ist in Bayern im Hochbau bei kleinen und großen Bauvorhaben ein Audit zur Barrierefreiheit vorgesehen. Dieses begleitet das Bauvorhaben in drei Phasen von der Planung bis zur Übergabe. Die Funktion des Auditors übernimmt ein unabhängiger Experte des staatlichen Bauamts. Neben dem Auditor, Auftraggebern und Planern nimmt an den Sitzungen auch der Beauftragte für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen der betreffenden Hochschule teil. Während einer Sitzung suchen die Beteiligten zu denjenigen Bereichen des Bauvorhabens nach Kompromisslösungen, bei denen sich die Umsetzung der Barrierefreiheit schwierig gestaltet. Derzeit sind barrierefreie Neubauten an der TH Deggendorf sowie der HAW Landshut in Planung.

Weiterführende Informationen:

Barrierefreies Bauen an der TH Deggendorf

Rund 5.200 Studierende, davon schätzungsweise ein Prozent mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, sind an der TH Deggendorf immatrikuliert - Tendenz steigend. Der bestehende Campus der TH Deggendorf ist im Moment nur in Teilen barrierefrei nutzbar. Um mit den steigenden Zahlen behinderter und nichtbehinderter Studierender auch in Zukunft Schritt halten zu können, haben die TH und das Ministerium einen Neubau in Auftrag gegeben. Bislang sind vier der fünf geplanten Gebäude fertig gestellt. Diese beherbergen auf einer Nutzfläche von über 5.700 Quadratmetern die Neubauten der Angewandten Naturwissenschaften, der Medientechnik und des Wirtschaftsingenieurwesens sowie neue Hörsäle.

Barrierefreiheit in fertiggestellten Neubauten

In den Außen- und Innenanlagen dieser Gebäude wurden folgende Einrichtungen der Barrierefreiheit installiert: Für Rollstuhlfahrer sind im Außenbereich sowie in der Tiefgarage insgesamt fünf Behindertenparkplätze vorhanden. Die im Außenbereich verbauten Rampen weisen einen Steigungswinkel unter sechs Prozent auf und sind somit für Rollstuhlfahrer nutzbar. Ebenfalls für Rollstuhlfahrer befinden sich im Abstand von circa drei Metern vor den Eingangstüren Säulen mit elektrischen bzw. elektronischen Türöffnern. Blinden Studierenden und Hochschulangestellten erschließen sich Treppenanfänge und –enden durch tastbare Rillen.

In Innenbereich aller bislang fertiggestellten Neubauten sind die Fluchtwege barrierefrei nutzbar. Auf allen Stockwerken befinden sich für Rollstuhlfahrer zugängliche Behindertentoiletten. Zudem sind Fahrstühle mit Hinweisen in Blindenschrift vorhanden.

Da diese Gebäude bereits noch vor Verabschiedung der DIN 18040 im Bau standen, wurde die Barrierefreiheit noch nicht vollständig umgesetzt. Es sind jedoch bereits die technischen Voraussetzungen gegeben, um auch die neuen Hörsäle nachträglich mit Induktionsschleifen für Hörgeräteträger ausstatten zu können.

Barrierefreiheit im fünften Neubau

Der fünfte Neubau, dessen Fertigstellung für 2016/17 geplant ist, wird ein Transferzentrum Technik und Innovation beherbergen und entsprechend der DIN 18040 vollständig barrierefrei gestaltet. Neben den bereits genannten Einrichtungen der Barrierefreiheit werden in den Außenanlagen tastbare Leitlinien für Blinde installiert und Treppengeländer mit Beschriftungen in Braille versehen.

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Geplanter Neubau an der HAW Landshut

Ein Neubau ist ebenfalls auf dem Campus der HAW Landshut in Planung.

Für Studierende und Hochschulangestellte mit Behinderungen sind alle bislang auf dem Bestandscampus errichteten Gebäude über Rampen erreichbar. Zudem ist die Hochschule dabei, die Außenbereiche nach und nach mit automatischen Türen zu versehen. Für behinderte Studierende und Hochschulangestellte stehen auf dem Parkplatz in der Nähe des Mensa- und Bibliotheksgebäudes zwei Behindertenparkplätze zur Verfügung. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Stockwerke in den Innenbereichen per Fahrstuhl erreichbar. Behindertentoiletten befinden sich unter anderem im Mensa- und Bibliotheksgebäude, der Zentralen Hochschule sowie dem Hörsaalgebäude.

Erstes Audit zur Barrierefreiheit

Zur barrierefreien Gestaltung des Neubaus hat bereits ein erstes Audit stattgefunden. Demnach ist an der Nordseite des Gebäudes eine sechs Meter lange Rampe mit Zwischenpodesten vorgesehen. An den Haupteingangstüren, am Nebeneingang sowie an den Türen zum Mensa/Bibliotheksvorplatz und zum Nachbargebäude werden automatische Türöffner installiert. Auf dem Hauptparkplatz entsteht in unmittelbarer Nähe ein zweiter Behindertenparkplatz. Um blinden und sehbehinderten Hochschulangestellten und Studierenden die Orientierung im Außenbereich zu ermöglichen, ist ein taktiles und visuelles Leitsystem geplant.

Im Innenbereich des Neubaus wird ein Fahrstuhl installiert, mit dem alle Stockwerke erreichbar sind. Derzeit sind keine fühlbaren Markierungen an den Treppengeländern vorgesehen, deren Umsetzung wird jedoch laut Audit-Bericht empfohlen.

Im Erdgeschoss entstehen ein Hörsaal sowie Seminarräume mit ebenerdigen Fluchtwegen. Da lose Bestuhlungen vorgesehen sind, lassen sich bei Bedarf beliebig viele Rollstuhl-Stellplätze einrichten. Lautsprecheranlagen sowie Induktionsschleifen für Nutzer von Hörgeräten werden zunächst im Hörsaal, jedoch nicht in den Seminarräumen installiert. Die Auditorin empfiehlt jedoch zu prüfen, ob die Seminarräume mit induktiven Höranlagen ausgestattet werden könnten.

Fazit

Bei der Planung öffentlicher Gebäude müssen Architekten eine Reihe von Gesetzen und Normen zur Barrierefreiheit beachten. Zudem müssen sie sich an den Bedürfnissen von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen orientieren. Dies ist eine sehr anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe. Unterstützung können sich die Verantwortlichen bei der Bayerischen Architektenkammer holen. Diese hat in Zusammenarbeit mit der Obersten Baubehörde sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration zwei Leitfäden zum barrierefreien Bauen herausgegeben. Zudem unterhält die Bayerische Architektenkammer zwei Beratungsstellen zum barrierefreien Planen und Bauen.

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